Wie geht Medizin in der dritten Welt?
Kreis Anzeiger vom 13.04.2013
13.04.2013 - BÜDINGEN
Von Michel Kaufmann
Zehn Jahre Hilfsprojekt Guarayos – Kinderärztin Dr. Ute Glock zieht Bilanz – Bislang 198 000 Euro für Projekte
„Bei meiner ersten Reise nach Bolivien war ich ein Neuling, ein Besucher. Und neugierig. Ich wollte wissen: Wie geht Medizin in der Dritten Welt?“ Zehn Jahren sind vergangen, seit die Büdinger Kinderärztin Dr. Ute Glock das Hilfsprojekt Guarayos ins Leben gerufen hat. Zehnmal ist sie seither nach Bolivien gereist, um die Schwestern des Franziskanerordens in Ascensión mit Geld, vor allem aber mit Ideen zu unterstützen. Einiges hat sich in dieser Zeit in dem Ort im bolivianischen Dschungel getan. Darauf ist Ute Glock zurecht stolz. Zeit, einmal Bilanz zu ziehen.
Das erste große Projekt, eine Geburtsklinik im Hospital von Ascensión, steht längst auf eigenen Beinen. Außerdem wurden dank des Projekts eine Schule, ein Ernährungs- und ein Frühförderzentrum für behinderte Kinder realisiert. „28 Kinder besuchen die 2008 gegründete Schule, darunter waren auch acht lernbehinderte Schüler“, erzählt die Ärztin. Diese habe man allerdings mittlerweile in das Frühförderzentrum integriert. „Uns fehlte eine Sonderpädagogin. Deshalb haben wir diesen Versuch beenden müssen.“ Das 2011 eingeweihte Frühförderzentrum ist eigentlich für kleinere Kinder gedacht. Ein von den Nonnen im vergangenen Jahr initiierter Anbau hat die Unterbringung der acht schulpflichtigen Kinder möglich gemacht. „Das ist sehr schön. Es war genug Geld da. Man sieht, dass es läuft“, sagt Glock. „Wir haben eine weitere Hilfskraft einstellen können und das Stundenkontingent erhöht. Außerdem bekommen die Kinder dort jetzt pro Tag eine kleine Mahlzeit.“ Dazu trage jeder etwas bei. „Beteiligung seitens der Eltern ist erwünscht“, sagt Glock, ein „Almosenwesen“ soll vermieden werden.
Auch das im vergangenen Jahr eingeweihte Ernährungszentrum hat einen Anbau und eine Rollstuhlrampe erhalten. Darin werden zum Beispiel Kochkurse angeboten. „Auch dort waren die Nonnen wieder sehr findig. Nach einem Wasserrohrbruch hat die Wasserzuleitung von der Stadt nicht mehr funktioniert. Die Nonnen haben sofort reagiert und kurzerhand den Klosterbrunnen angezapft, damit der Betrieb weitergehen konnte.“
198 000 Euro sind bislang zusammengekommen. Die Spenden – das zu betonen, wird Glock nicht müde – fließen zu 100 Prozent in die Projekte. Dafür hat die Stadt Büdingen der Ärztin sogar die Bürgerplakette verliehen. Diese wurde natürlich in Ascensión aufgehängt. „Ich gehe davon aus, dass sich die Einrichtungen mit jedem weiteren Jahr stabilisieren. Programme laufen irgendwann aus, aber Einrichtungen zu schließen, das ist nicht so einfach. Man sieht das ja an der Geburtsklinik. Das Netz wird dichter und somit auch tragfähiger.“
Damit ist Ute Glock bei ihrem Lieblingsthema angekommen: Nachhaltige und grundlegende Hilfe, statt Unterstützung von Einzelfällen. Das ist für die Kinderärztin die Formel, nach der sie einst gesucht hat. In Ascensión funktioniert sie prächtig, auch wenn Glock zugibt, dass der Nutzen lokal begrenzt ist. „Auf ganz Bolivien gerechnet macht das natürlich nicht viel aus. Aber für die Region ist es ein kollosaler Gewinn.“ Ascensión habe mittlerweile gut 23 000 Einwohner, innerhalb von zwei Jahren seien acht neue Stadtteile entstanden. Diese liegen in der Regel weit voneinander verstreut im Dschungel. Es gibt meist keinen Strom und kein fließendes Wasser. „Um dieses große Gebiet flächendeckend zu betreuen braucht man genug Personal und vor allem Strukturen“, sagt Glock.
Deshalb arbeitet man ab sofort enger mit der Organisation PLAN International zusammen, die die Kinderärztin als wichtige Partnerin ihres Projekts sieht. „PLAN bildet zum Beispiel die Helferinnen, die sogenannten Voluntarias, aus und stellt Kochkurse auf, die in unserem Ernährungszentrum stattfinden. Das ergänzt sich hervorragend.“ Jetzt hat die Organisation sogar für ein Jahr einen Koordinator zur Verfügung gestellt, eine Art Manager, der sich darum kümmert, dass alles so harmoniert, wie es soll. Auch ein einheimischer Arzt, der das Gesundheitsressort der Gemeinde leitet, ist in die Arbeit eingebunden worden. „Wir ziehen alle an einem Strang“, sagt die Büdingerin.
Ute Glocks Haltung, stets das Ganze im Blick zu behalten und das Netz dichter zu weben, führt immer zu neuen Ideen. „Ich habe mir überlegt, was zum Beispiel aus den Kindern wird, die wir im Frühförderzentrum betreuen, wenn sie älter werden. Wir bräuchten so eine Art Behindertenwerkstatt, wo diese dann unterkommen.“ Die nächste Reise steht somit also schon fest. „Jedes mal, wenn ich abgereist bin, hatte ich das Gefühl, eine Lücke zu hinterlassen. Also musste ich immer wieder hinfahren. Heute gehöre ich dort zum Inventar.“