Ute Glock: "Unsere erste Sorge gilt den Menschen und ihren Nöten" - Büdinger Kinderärztin unterstützt Missionsstationen in Bolivien - Weihnachtsmarkt-Aktion

Kreis Anzeiger vom 20.12.2005

Elfriede MareschBÜDINGEN. Der Ruhestand kann sehr unterschiedlich gestaltet werden, etwa als Rückzug, bei dem körperliche Beschwerden ausschlaggebend sind. Glücklicher sind die weltzugewandten Senioren. Sie genießen es, dass sie nach Jahrzehnten Berufstätigkeit nun mehr Zeit für sich haben, ihre Qualifikationen aber weiterhin einbringen können - allerdings auf anderer Ebene. So hat auch die Büdinger Kinderärztin Dr. Ute Glock eine neue Aufgabe für sich definiert, in der ihr berufliches Wissen genauso gebraucht wird wie ihr Temperament und ihre Einsatzfreude.

Sie ist in den Freundeskreis der Nonnen von Ascunsion hineingewachsen. Die Franziskanerinnen aus Hall in Tirol betreiben im ländlichen Bolivien unter der indigenen Guarayos-Bevölkerung ein Netz von Missionsstationen, Schulen für insgesamt 4 500 junge Leute und ein Krankenhaus. Nonnen aus dem Urwald und eine Ärztin, die in einem Industrieland eine Praxis leitete und dabei Aufgaben im kinder- und jugendärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes wahrnahm - stoßen da nicht Welten aufeinander?

Dr. Ute Glock war schon zweimal in Ascunsion. Sie erlebte dort unglaubliche Kontraste: motivierte Kinder und ihre Lehrerinnen in "Schulen des Glaubens und der Freude", aber auch Familien in Hütten, die noch nicht einmal europäischen Rohbaustandards entsprechen, ein Jugendorchester, das hingebungsvoll Mozarts "Kleine Nachtmusik" spielte, und unterernährte Teenagermütter, die aus einer Vergewaltigung schwanger geworden sind. Glocks Sohn Florian hat einen Film zum Thema "Franziskanerinnen in Bolivien" gedreht - eine eindrucksvolle Bildfolge, die die Gegensätze noch bedrückender erscheinen lässt: hier das funktionstüchtige kleine Hospital der Schwestern mit einer chirurgischen, einer Kinder- und einer Entbindungsstation, dort - von Kerzen umgeben - ein totes Zweijähriges, das an einer unspezifischen Darminfektion starb. In Deutschland hätte sie jedes Kind überlebt.

Zwischen der Ärztin und den Nonnen sind freundschaftliche Beziehungen gewachsen. Am meisten beeindruckt der Ärztin die pragmatische Hilfsbereitschaft der Schwestern, ihre schlichte Tatkraft, die da eingesetzt wird, wo die Not gerade am Größten ist. "Unsere erste Sorge ist nicht die Mission. Unsere erste Sorge gilt den Menschen und ihren Nöten", meinte etwa Schwester Andrea Schett. Die meisten Nonnen sind nicht mehr jung, Nachwuchs fehlt. So sind sie bemüht, im Laufe der Jahre Projekte zu verselbstständigen. Einige ihrer Schulen hat der Staat übernommen, bolivianische Nonnen führen die Arbeit der Tiroler Schwestern in deren Sinn weiter. Aber den 60- oder 70-jährigen Frauen aus Österreich wird immer noch viel Einfallsreichtum abverlangt.

So kam es 1999 in einem trockenen Monat durch Brandrodung zu Funkenflug. Mit Schrecken erinnert sich Schwester Andrea an den Brand eines kompletten Dorfes. Vielköpfige Familien wurden obdachlos. Die Schwestern konnten in Europa hilfsbereite Spender finden. Heute ist das Dorf wieder aufgebaut - mit Ziegeldächern zum vorbeugenden Brandschutz. Dennoch: Geldmangel gefährdet die Arbeit der Nonnen. Es gleicht oft kleinen Wundern, wie Geld- und Sachspenden gerade im letzten Moment ankommen. Doch die Mühe zeigt Wirkung. Die Kindersterblichkeit in Ascunsion liegt unter dem Landesdurchschnitt. So starben oft Babys, weil die Familien nur die Alternative "Stillen oder vom Tisch der Erwachsenen gefüttert werden" kannten. Industriell gefertigte Säuglingsnahrung gibt es nicht. Sie wäre für die Kleinbauern und Handwerker auch unerschwinglich. Krankenschwester Letitia Pallhuber fördert das Stillen, versucht eine Amme zu finden, wenn die Mutter keine Milch hat. Ebenso vermittelt sie Hygienekenntnisse. Babys starben öfter an Nabeltetanus. Die Nabelschnur wurde flüchtig mit Lianen abgebunden, mit einem unsauberen Buschmesser durchtrennt. Schwester Letitia und ihre Kollegin, Kinderkrankenschwester Miriam Holaus, sorgten dafür, dass es in den Weilern Scheren gibt, die ausgetauscht und in kochendem Wasser sterilisiert werden können.

Dr. Ute Glock sah die Not, unterstützte selbst und versuchte auch in Oberhessen Sponsoren zu finden. Beim Weihnachtsmarkt im Büdinger Schlossareal etwa kam es jüngst zu einem Brückenschlag zwischen Wetterau und bolivianischem Tiefland. Die Kinderärztin fand Helfer für ein breites Angebot. Die Kefenroder Landfrauen backten Plätzchen, Frauen aus Glocks Freundeskreis sorgten für Kaffee und Kuchen, schenkten Glühwein aus. Sie standen im nasskalten Wetter stundenlang am Stand, boten bolivianisches Kunsthandwerk und Wetterauer Hausmacher-Marmeladen, holten ihre Ehemänner zum Auf- und Abbau. Stolze 1 830 Euro kamen auf dem Weihnachtsmarkt zusammen, die direkt in Sachspenden in das bolivianische Hospital gehen werden.

Doch es bleibt noch viel zu tun, um die medizinische Versorgung der Familien zu sichern - von den 13 000 Einwohnern von Ascunsion sind 8 000 unter 15 Jahren. Deshalb ist man für jede kleine Spende dankbar, die direkt an die Nonnen im Hospital weitergeleitet wird.

Gespendet werden kann unter dem Stichwort "Hospital Guarayos - Thüringische Franziskaner-Provinz" auf das Konto mit der Nummer 800 057 17 (Bankleitzahl 510 917 11) bei der Bank für Orden und Mission.

Marwin Hehl