Dr. Ute Glock sammelt seit 2004 Spenden für ein Gesundheitsprojekt in Bolivien in Zusammenarbeit mit Franziskanerinnen
Kreis Anzeiger vom 20.10.2017
BÜDINGEN - Im tropischen Tiefland des südamerikanischen Anden-Staates Bolivien in der Provinz Guarayos liegt der Ort Ascensión. 320 Kilometer entfernt von der nächsten Großstadt und fernab von jeglicher Zivilisation. Erreichen kann man ihn nur über eine einzige Straße. Bolivien ist das ärmste Land Lateinamerikas. Die Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft, vom Handwerk und Gelegenheitsarbeiten. 60 Prozent der Menschen gelten als arm. In Guarayos begann die Franziskanerin Schwester Letitia Pallhuber 1957 im Zuge eines Missionsauftrages ein Hospital aufzubauen, das ausschließlich mit privaten Spenden finanziert wurde. Die ehemalige Büdinger Kinderärztin Dr. Ute Glock lernte Schwester Letitia 2003 kennen und beschloss, diese entschlossene Frau zu unterstützen. Der Kreis-Anzeiger sprach mit Dr. Glock über ihr Engagement in Bolivien.
Frau Dr. Glock, wie kam es überhaupt zu Ihrem Kontakt zu Schwester Letitia?
Als ich 2002 in den Ruhestand gegangen bin, hatte ich plötzlich sehr viel Zeit. Das hat mich ein wenig beunruhigt und so war ich auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Durch meinen Doktorvater bekam ich Kontakt zu Schwester Letitia. Denn er kannte und unterstützte sie in Zusammenarbeit mit dem Franziskanerkloster in Großkrotzenburg. Dieses Franziskanerkloster hat mir geholfen, Kontakt zu Schwester Letitia aufzunehmen. 2003 habe ich sie kennengelernt, als sie einen Heimaturlaub in Deutschland machte. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Schwester Letitia zu unterhalten. Nach dieser Begegnung bin ich 2004 zum ersten Mal nach Bolivien gereist. Es war mir ein wirkliches Anliegen, mir vor Ort ein Bild zu machen. Ich war neugierig, wie Kinderheilkunde in einem solchen Land umgesetzt wird.
Sie hatten im Vorfeld Ihrer Arbeit sicher noch nicht all zu viel mit dem Sammeln von Spendengeldern zu tun. Wie kann man sich den Beginn Ihrer Aktivitäten für das Hospital vorstellen?
Ich hatte zunächst überhaupt kein Konzept, aber das Glück, mit einer bolivianischen Kinderärztin zusammenarbeiten zu können, die ein wenig englisch sprach. Vor Ort habe ich festgestellt, dass der Schwerpunkt in der Kinderheilkunde in einem solchen Land ein ganz anderer ist. Es geht vorrangig um die Akutversorgung. Um Verbrennungen, Schlangenbisse, schwere Bronchitiden, Lungenentzündungen und so weiter. Die kinderärztliche Situation ist viel prekärer als bei uns, Prävention gibt es dort gar keine und viele Menschen können die Erkrankungen ihrer Kinder gar nicht abschätzen. Auch die Kindersterblichkeit ist dort viel höher als bei uns. Der Schwerpunkt der Kinderheilkunde in Deutschland liegt bei den altersüblichen Erkrankungen im Kindesalter. Es geht um Neurologie, um die Entwicklung. In Bolivien dagegen sind die Kinder zu klein, zu dünn und unterentwickelt. Während der vier Wochen, die ich mit der Ärztin vor Ort verbracht habe, fiel mir auf, was alles an technischen Hilfsmitteln fehlt. Das fing bei einem einfachen Fieberthermometer an und hörte bei der Laboreinrichtung auf. Ich begann, Spenden zu sammeln, zunächst im Freundeskreis. Es endete mit einem Fundraising für die Ausstattung einer ganzen Geburtsstation.
Von welchen Summen sprechen wir?
Bis 2013 haben wir als 'Arbeitsgruppe Guarayos' etwa 280 000 Euro zusammengetragen. Im Zuge der Projektarbeit haben auch andere Organisationen Gelder fließen lassen. Zum Beispiel die Missionszentrale der Franziskaner in Bonn, das päpstliche Kindermissionswerk Aachen (Sternsinger) und nicht zuletzt eine österreichische Organisation namens "Bruder und Schwester in Not", denen unsere gemeinsame Arbeit vor Ort bekannt war. Und es wird tatsächlich kein einziger Euro für Verwaltungsaufgaben verschleudert, es geht wirklich alles direkt in das Projekt Guarayos.
Was konnte mit den Spendengeldern, die Sie bisher zusammengetragen haben, bereits finanziert werden?
2006 konnte ich im Freundeskreis zunächst 25 000 Euro sammeln. Mit diesem Geld konnte eine Geburtsklinik vor Ort finanziert werden. Die medizintechnische Ausstattung war nun zeitgemäß, insbesondere die intensivmedizinische Versorgung der Früh- und Neugeborenen. Als dieses Projekt abgeschlossen war, traf ich 2006 auf ein fast verhungertes Kind. Damals wurde mir klar, um was es eigentlich geht. Es geht nicht nur um die medizinische Versorgung, sondern darum, sich um die Schwächsten zu kümmern. Man muss ein Augenmerk auf die Unterernährung und die Entwicklung der Kinder legen. Damals habe ich begonnen, systematisch ein Programm gegen die Unterernährung von Kleinkindern aufzubauen. Es gab dort zwar schon ein Programm zur Kontrolle der kindlichen Entwicklung von Plan International, aber das funktionierte aus verschiedenen Gründen nicht. 2013 konnten wir dann mit unserer Kindersprechstunde in ein eigenes Gebäude ziehen. Im Zuge der regelmäßigen Hüttenbesuche sind wir auch auf Kinder mit Missbildungen und Behinderungen gestoßen. Für diese Kinder gab es keine Betreuung. Wir haben ein Heil- und Sonderpädagogisches Zentrum eingerichtet. Aktuell betreuen wir dort 40 behinderte Kinder vom Kleinkind- bis zum Jugendlichenalter.
Wie sind Sie vorgegangen?
Wir saßen in der Kinderklinik und haben Sprechstunden angeboten. Das hat sich natürlich unglaublich schnell herumgesprochen. Mit dieser Sprechstunden kamen keine Kosten auf die Leute zu, weder in der Diagnostik noch in der Behandlung. Wir haben die Kinder untersucht und anhand der vorgefundenen Probleme und Erkrankungen den entsprechenden Kliniken zugewiesen. Dabei kommt einer der Schwestern, Miriam Holaus, eine ganz besondere Rolle zu. Sie hat die ganze medizinische Beratung gemacht und hat die Spendengelder sehr vertrauenswürdig verwaltet. Auch die fachgerechte Ernährungsberatung lag allein in den Händen von Schwester Miriam.
Wie häufig waren Sie schon in Guarayos und wie wird es mit Ihrem Projekt weitergehen?
Ich bin seit 2004 jedes Jahr einmal nach Bolivien gereist, für jeweils etwa vier Wochen. In diesem Jahr war ich zum 14. Mal dort. Wir bemühen uns, das Ernährungsprojekt so auszuweiten, dass wir im Bereich Unterernährung präventiv vorgehen. Zum Beispiel, indem wir Sojamilch in Flaschen abfüllen und in Schulen und an ältere Menschen verteilen. Eine weitere Vision ist eine mobile Ambulanz, sodass weit entlegene Hütten aufgesucht werden können. Außerdem möchten wir Mütter dahingehend anleiten, dass sie ihre Kinder besser versorgen können. Was die Behindertenförderung anbelangt, ist ein großes Anliegen von uns die Behinderten ins Schulsystem zu integrieren.